Ego oder Expertise? Die komplexe Realität von Personenschützern im Familienumfeld

Meine Praxiserfahrung hat gezeigt, dass es oft zu Herausforderungen kommt, wenn Personenschützer aus dem Vorstands- oder Behördenschutz in den Bereich der Familiensicherheit wechseln. Was von außen manchmal als überzogenes Ego wahrgenommen wird, hat oft tiefere Wurzeln in der beruflichen Prägung und den unterschiedlichen Anforderungen dieser Bereiche. Dieser Artikel beleuchtet die Herausforderungen, mit denen Personenschützer beim Wechsel in die Familiensicherheit konfrontiert sind, und bietet Einblicke in notwendige Anpassungen sowohl seitens der Schützer als auch der Führungskräfte.

Die Herausforderung der Anpassung

Viele Personenschützer, die aus Sondereinheiten wie z.B. USK, SEK, GSG9 (Aufzählung nicht abschließend) oder dem Behördenschutz in die Familiensicherheit wechseln, erleben einen regelrechten Kulturschock. Sie waren es gewohnt, Amtsträger zu schützen, hatten klare Befehlsstrukturen und führten reine Schutzaufträge aus. Die Anpassung an das Familienumfeld fällt ihnen oft extrem schwer, da hier der Servicegedanke neben dem Schutzauftrag großgeschrieben wird. Ein ehemaliger Kollege hat es schön auf den Punkt gebracht: „früher habe ich ein Amt geschützt, jetzt ist es eine private Person“

Hintergrund und Prägung

Diese Personenschützer bringen eine intensive Ausbildung und oft jahrelange Erfahrung in hochriskanten Einsätzen mit. Ihre Prägung führt zu einem sehr spezifischen Sicherheitsverständnis und Arbeitsansatz, der in Behördeneinsätzen höchst effektiv ist, aber im Familienkontext oft als überzogen wahrgenommen wird.

Anpassungsschwierigkeiten im Familienkontext

  1. Unterschiedliche Prioritäten: Während im Behördenschutz der reine Schutzauftrag im Vordergrund steht, erfordert die Familiensicherheit einen ganzheitlicheren Ansatz, der Schutz und Service vereint.
  2. Flexibilität vs. Standardprotokolle: Familien haben individuelle Bedürfnisse und Routinen, die oft mit starren Sicherheitsprotokollen kollidieren können.
  3. Emotionale Intelligenz: Der Umgang mit Familienmitgliedern, insbesondere Kindern, erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Anpassungsfähigkeit.

Der Konflikt zwischen Professionalität und Flexibilität

Was für Außenstehende wie ein übertriebenes Selbstbewusstsein wirken mag, ist oft das Resultat von:

  1. Einem hohen Qualitätsanspruch an die eigene Arbeit
  2. Jahrelanger Erfahrung in hochsensiblen Sicherheitsbereichen
  3. Dem Umgang mit hochkarätigen Schutzpersonen
  4. Einer tief verwurzelten professionellen Identität

Die Wahrnehmung des „überzogenen Egos“

Für viele dieser erfahrenen Personenschützer ist es frustrierend, wenn ihre Expertise und ihr Fachwissen nicht anerkannt werden. Nach Jahren in hochriskanten Einsätzen und der Verantwortung für komplexe Sicherheitskonzepte fühlen sich manche in einer gefühlten Rolle als „hochbezahlter Taxifahrer“ unterfordert und nicht wertgeschätzt.

Die Herausforderung der Selbstreflexion

Es ist wichtig, dass diese Personenschützer ihre eigene Position kritisch hinterfragen. Die Kernfrage lautet: Könnte man, wenn man eine gewisse Stufe der Karriereleiter erreicht hat, Fachexpertise erlangt, Jahre in ein Studium investiert und große Projekte verantwortet hat, plötzlich wieder als einfacher „Soldat“ arbeiten?

Für die meisten (und da schließe ich mich mit ein) ist die ehrliche Antwort:

Nein, unter normalen Umständen wäre das extrem schwierig!“

Diese Erkenntnis verdeutlicht den wahren Wert der bisherigen Leistungen und Errungenschaften, macht aber auch die Herausforderung der Anpassung deutlich.

Notwendigkeit der Selbstreflexion

Personenschützer, die einen Wechsel in Betracht ziehen, sollten eine tiefgreifende Selbstreflexion vornehmen. Sie sollten sich bewusst machen, was es bedeutet, Schützer in einer Familie zu sein:

  1. Die Bereitschaft, Serviceaspekte in den Vordergrund zu stellen
  2. Die Fähigkeit, flexibel auf individuelle Familienbedürfnisse einzugehen
  3. Das Verständnis, dass die Rolle weniger auf Autorität und mehr auf Vertrauen und Diskretion basiert
  4. Die Akzeptanz, dass die Dynamik in einer Familie anders ist als in behördlichen Strukturen

Wechselwillige Beamte sollten sich ehrlich fragen: Bin ich bereit, meine bisherigen Erfolge und mein erreichtes Niveau in gewisser Weise „aufzugeben“ und mich auf eine neue, möglicherweise weniger hierarchische Rolle einzulassen?

Persönliche Erfahrung und Herausforderung

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich selbst nicht mehr in eine einfachere Rolle zurückgehen könnte. Die Vorstellung, meine Erfolge und meinen erreichten Status aufzugeben, fällt mir äußerst schwer. Dies ist eine Realität, mit der viele erfahrene Personenschützer konfrontiert sind. Es erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Ehrlichkeit, um zu erkennen, ob man bereit ist, diesen Schritt zu gehen und sich auf die neuen Herausforderungen der Familiensicherheit einzulassen.

Hohe Fluktuation und gescheiterte Integration

Ein oft übersehener Aspekt ist die hohe Fluktuation von ehemaligen Behördenschützern im privaten Sektor der Familiensicherheit. Nicht selten scheitern Integrationsbemühungen, was dazu führen kann, dass diese Fachkräfte oft den Weg zurück in die behördlichen Strukturen suchen. Diese Rückkehrbewegung ist oft das Resultat einer Kombination aus kulturellem Schock, unerfüllten Erwartungen und der Schwierigkeit, sich an die weniger hierarchischen und serviceorientierten Anforderungen der Familiensicherheit anzupassen. Solche Fälle unterstreichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Vorbereitung und Unterstützung beim Übergang, sowohl für die Personenschützer als auch für die sie einstellenden Unternehmen.

Die Rolle der Führungskräfte und Personalverantwortlichen

Gleichzeitig tragen Führungskräfte und Personalverantwortliche in der Familiensicherheit eine große Verantwortung bei der Integration ehemaliger Behördenschützer:

Ego zurückstellen und realistisch kommunizieren

  1. Ego zurückstellen: Bei der Personalakquise ist es wichtig, das eigene Ego zurückzustellen. Nicht der „beste“ oder „härteste“ Personenschützer ist zwangsläufig der Richtige für eine Familie.
  2. Ehrlichkeit in der Darstellung: Es ist entscheidend, von Anfang an ein realistisches Bild der Tätigkeit zu vermitteln. Dazu gehört auch die oft unbequeme Wahrheit über begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten in dieser Rolle.
  3. Klare Kommunikation: Die Unterschiede zwischen behördlichem Personenschutz und Familiensicherheit sollten klar kommuniziert werden, um falsche Erwartungen zu vermeiden.

Wertschätzung und Unterstützung

  1. Wertschätzung der Erfahrung: Trotz der Unterschiede sollte die wertvolle Erfahrung der ehemaligen Behördenschützer anerkannt und sinnvoll integriert werden.
  2. Unterstützung beim Übergang: Angebote zur Unterstützung beim Übergang, wie Mentoring oder spezielle Einarbeitungsprogramme, können helfen, die Anpassung zu erleichtern.

Lösungsansätze für eine bessere Integration

Um die Anpassung zu erleichtern und die wertvollen Fähigkeiten dieser hochqualifizierten Personenschützer optimal zu nutzen, sind folgende Schritte sinnvoll:

  1. Spezialisierte Schulungen: Trainings, die speziell auf die Bedürfnisse der Familiensicherheit zugeschnitten sind und den Serviceaspekt betonen.
  2. Mentoring-Programme: Erfahrene Personenschützer im Familienbereich können als Mentoren fungieren, um den Übergang zu erleichtern.
  3. Offene Kommunikation: Ein regelmäßiger Austausch zwischen Schutzperson, Familie und Sicherheitsteam kann helfen, Erwartungen abzugleichen und Missverständnisse zu vermeiden.
  4. Flexible Einsatzmodelle: Die schrittweise Integration in die Familiensicherheit kann den Übergang erleichtern.
  5. Wertschätzung der Expertise: Die Erfahrung und das Fachwissen der ehemaligen Behördenschützer sollten aktiv in die Entwicklung von Sicherheitskonzepten einbezogen werden.

 

BALANCE finden, SELBSTREFLEXION fördern, REALITÄTEN anerkennen

Die Herausforderung für Personenschützer, die aus dem behördlichen Bereich in die Familiensicherheit wechseln, liegt darin, ihre unbestreitbaren Qualitäten und Erfahrungen mit den spezifischen Anforderungen der Familiensicherheit in Einklang zu bringen. Dies erfordert eine tiefgreifende Selbstreflexion seitens der Schützer und eine realistische, unterstützende Haltung seitens der Führungskräfte. Letztendlich geht es darum, eine Kultur zu schaffen, in der sowohl die Personenschützer als auch die Familien profitieren. Dies erfordert Offenheit, Ehrlichkeit und die Bereitschaft zur Anpassung von beiden Seiten. Nur so kann eine erfolgreiche Integration stattfinden, die sowohl den hohen Sicherheitsstandards als auch den individuellen Bedürfnissen der zu schützenden Familie gerecht wird. Indem beide Seiten – die wechselwilligen Beamten und die Personalverantwortlichen – ihre Erwartungen und Realitäten offen kommunizieren und reflektieren, kann eine Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit geschaffen werden. Dies fördert nicht nur die Zufriedenheit aller Beteiligten, sondern gewährleistet auch die bestmögliche Sicherheit und Lebensqualität für die zu schützenden Familien. Der Weg vom Behördenschützer zum Familienschützer mag herausfordernd sein, aber mit der richtigen Einstellung, Unterstützung und gegenseitigem Verständnis kann er zu einer bereichernden Erfahrung alle Beteiligten werden.

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