Für Deutschland und seine Wirtschaft brechen harte Zeiten an. Keine billige Energie aus Russland mehr; die Märkte für Rohstoffe fest in den Händen der Chinesen und Anglo-Amerikanischen Rohstoffkonzerne; Arbeitskräftemangel und Baby-Boomer, die bald massenhaft in Rente gehen. Das Land wird die nächsten Jahrzehnte einen steinigen Pfad gehen; auch wenn gerade kurzfristige Erleichterung darüber herrscht, dass 2023/24 vielleicht doch keine Rezession kommt. Woran es in der Politik mangelt, ist strategisches, langfristiges Denken. Strategische Informationsbeschaffung wird daher für den Erfolg der deutschen Wirtschaft in Zukunft eine immer größere Rolle spielen.
Von Sebastian Okada
Strategische und taktische Informationen heißen nicht ohne Grund im Englischen „Intelligence“. Denn sie sorgen für mehr Intelligenz, no pun intended.
Ein reales Beispiel aus der Praxis der Informationsbeschaffung:
1. Strategische Informationsbeschaffung (Indien):
Ein deutsches Unternehmen stand in Verhandlungen bei einem großen Geschäft in Indien. Bei der speziellen Konstellation spielten auch indische Behörden eine wichtige Rolle, die Einfluss auf den Ausgang des Geschäfts hatten. Kurz vor dem erwarteten positiven Abschluss grätschte ein Mitbewerber aus einem englischsprachigen Land in das Geschäft hinein. Plötzlich blockierten die Behörden die Entscheidung zu Ungunsten des deutschen Unternehmens.
Es erteilte einen Auftrag, die indischen Behörden und jeweiligen Entscheidungsträger dort aufzuklären. Dabei spielten eine Rolle, welchen politischen Parteien diese jeweils zuzurechnen waren; welche grundsätzliche Position diese jeweiligen Parteien zu dem betroffenen Geschäft und dem politischen Kontext dazu hatten; und welche Rolle der Wettbewerber aus dem Ausland in diesem Zusammenhang spielte.
Die Informationsbeschaffung lief auf mehreren Kanälen: Open-Source Intelligence (OSINT) aus elektronisch verfügbaren Quellen sowie Human Intelligence (HUMINT) zusammengetragen von Landeskennern, Wirtschafts- und Polit-Experten für Indien, aber aus dem Ausland. Maximale Diskretion war erforderlich. Nach ca. 4 Wochen Informationsbeschaffung und Analyse war klar, wer hier welche Fäden zog. Und das Geschäft konnte dank dieser Informationen doch noch zugunsten der Deutschen gerettet werden.
2. Geschäftspartner Due Diligence: Je größer die Abhängigkeit von bestimmten Lieferanten oder anderen Geschäftspartnern ist, umso wichtiger ist deren Überprüfung im Vorfeld oder während der laufenden Beziehung, damit es nicht zu bösen Überraschungen kommt. Wichtige Fragen sind zu klären, z.B.
- Was sind die Hintergründe der handelnden Manager und Gesellschafter?
- Wie verlässlich sind sie? Gibt es positive oder negative Erfahrungen anderer Partner in der Vergangenheit?
- Hat das Unternehmen alle Lizenzen, die es benötigt?
- Wie ist das Verhältnis zur Regierung, zu Behörden?
- Wie stabil ist die Lieferkette unterhalb dieses Lieferanten?
- Hat die Firma Probleme mit Behörden, etwa im Zusammenhang mit Arbeitsrechtsthemen (Labor Disputes) oder Umweltschutz-Verstößen?
- Was könnte das Unternehmen dabei behindern, erfolgreich an uns zu liefern?
Die Antworten bilden eine wichtige Grundlage für Management-Entscheidungen.
Das Gleiche gilt natürlich für Joint-Venture Partner oder Firmenübernahmen: Wer seine Partner vorab transparent macht, vermeidet eine Vielzahl heftiger Risiken—von Reputationsschäden, über Fraud-Schäden (dolose Handlungen) bis hin zu Totalverlust von Assets.
3. Abwehr feindlicher Interessen: Ausländische Interessen greifen regelmäßig nach deutschen Unternehmen. Und die Öffentlichkeit bekommt oft gar nichts davon mit.
Spionageangriffe, nachrichtendienstliche Aufklärung, Einflussoperationen—in welchem Gewand fremde Interessen auch immer daherkommen, sie sind oft erfolgreich. Diese Angriffe kommen hierzulande regelmäßig vor. Entweder sie enden in feindlichen Übernahmen deutscher Assets, Diebstahl deutschen Know-Hows oder in Niederlagen deutscher Unternehmen bei Geschäftsverhandlungen. Am Ende sind diese Spionageangriffe nichts anderes als eine massive Umverteilung von Wohlstand.
Gesteuert werden sie mitunter von ausländischen Regierungen und deren Nachrichtendiensten; oft aber von privaten Firmen und Interessen, die jedoch die dieselben Mittel einsetzen wie die besten Nachrichtendienste. Spies for hire.
Deutsche Firmen sind zu oft die Opfer solch hochprofessioneller Aufklärungsoperationen. Umgekehrt greifen Firmen in Deutschland selbst viel zu selten zu denselben Mitteln, um ihre geschäftlichen Ziele im Ausland durchzusetzen. Es herrscht daher extreme Waffen-Ungleichheit. Das muss sich ändern.
Unsere Unternehmen sollten anfangen, Spionage- und Aufklärungsangriffe überhaupt erstmal – zeitnah – zu bemerken. Das heißt, Detektion und Gegenaufklärung (Counter-Intelligence) sind ganz zentrale Elemente. Schnelligkeit ist außerdem erforderlich—sonst ist die gegnerische Aktion erfolgreich, bevor überhaupt Gegenmaßnahmen getroffen werden konnten.
Am Ende zählt nur, wer sich geschäftlich durchsetzen konnte. Man könnte auch sagen: victory by intelligence.
Zum Autor:
Sebastian Okada ist auf internationales Intelligence Gathering und die Aufklärung sowie Abwehr von Wirtschaftskriminalität weltweit spezialisiert. Er leitet die Abteilung Ermittlungen bei der Münchner Sicherheitsberatung Corporate Trust.
Tel. 089-599 88 75 80